Sport

Titelfeiern und Talfahrten – der Sport, der Fußball, ist für mich 100 Prozent Emotionen. Ich habe alles mitgemacht. Und bin mit jeder Erfahrung stärker geworden. Auf dem Platz und außerhalb.

JUGEND

Der Fußball kam ins Spiel, als ich ungefähr sieben Jahre alt war. Gleich vis-a-vis von unserem Hof liegt der Sportplatz, und es fanden sich immer zehn bis 15 Kinder, um rund um die Uhr zu kicken.

Ich als Mädel war die Ausnahme. Wir haben Stunden am Stück durchgespielt, unterbrochen nur ab und zu von der Mama, wenn sie uns Trinkpausen verordnete. Ging auf dem Dorfplatz mal nix zusammen, haben wir bei uns auf der Wiese gespielt. Und weil wir irgendwann schlechtes Gewissen bekommen haben, weil der Ball so oft in Mamas heißgeliebte Blumen geflogen ist, machten wir eine Kasse auf. Für jeden Fehlschuss musste man ein bisserl was blechen. Im Nachhinein kann man sagen: Das hat sich bezahlt gemacht.

Bayern München

Ich war als Kind stolze Sammlerin von Postern, über meinem Bett hingen Lothar Matthäus, Stefan Effenberg und Roy Makaay. Dass ich zum FC Bayern kam, war meine eigene Initiative. Ich wollte den Schritt ins Ausland machen, Bayern war naheliegend, also fragte ich, ob ich zum Probetraining vorbeischauen darf.

Ich wurde verpflichtet, und anfangs war es gewiss keine einfache Zeit: Mit 16 weg von daheim, neues Schulsystem, neue Stadt, neue Welt. Und dann lief mein Debüt, ich war gerade 17 geworden, gründlich schief: Kreuzbandriss nach zehn Minuten. Im Krankenhaus legte ich das Trikot weg und sagte: „Das brauche ich nie wieder!“ Aber das war natürlich nur die erste Enttäuschung. Ich gebe nicht auf und habe mich immer wieder nach Verletzungen zurückgekämpft. Elf Jahre durfte ich für den FC Bayern spielen, war Stammkraft und feierte zwei Deutsche Meisterschaften sowie einen DFB-Pokalsieg. Da muss ich mich manchmal zwicken, um zu realisieren: Mein Traum ist wirklich wahr geworden!​

Arsenal

Die Entscheidung, zum FC Arsenal zu gehen, habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich möchte zu 100 Prozent zu so einer Entscheidung stehen – und inzwischen kann ich sagen: ich bereue nichts. In mir drin hatte ich das Gefühl, dass es Zeit ist, in meiner Karriere etwas Neues anzugehen, und der englische Fußball ist auf dem Vormarsch. Sportlich wie privat flasht mich in London vieles. Arsenal hat eine große Tradition. Ich mag es, wenn es eine klare Vereinsphilosophie und langfristige Pläne und Ziele gibt. Die Stadt ist eine Reizüberflutung, aber ich liebe es. Es ist unglaublich, wie viel Dynamik in London steckt, wie sehr das Leben hier pulsiert. Es ist eine Weltstadt. Ich war mit 14 das erste Mal hier, aber diesmal gehe ich das ja nicht wie beim Sightseeing an: Ich will diese Stadt, die Kultur und natürlich den englischen Fußball erleben, so viel wie möglich mitnehmen und aufsaugen.
Die Herausforderung England gab mir schon vor dem Wechsel ein gutes Gefühl – und dieses gute Gefühl half mir dann auch gleich bei einem Schock nach den ersten Wochen: Wegen eines Knorpelschadens drohte die Saison, vorbei zu sein, ehe sie angefangen hatte. Aber ich ließ all das Neue um mich herum als frischen Puls in meine Reha einfließen – und kämpfte mich durch, einmal mehr. Im März feierte ich meinen verspäteten Pflichtspiel-Einstand, und die Krönung war mein Startelfdebüt am letzten Spieltag gegen Manchester City. In dem Spiel wurden wir Meister, und es war ein unglaubliches Gefühl, die Trophäe in die Luft zu stemmen: Weil ich wusste, was für ein Weg hinter mir lag. Es war wieder alles aufgegangen, und es hatte sich wieder mal gelohnt! Obwohl ich die Saison komplett verpasst hatte, war das sicher einer meiner größten persönlichen Erfolge.
Ungeachtet von Covid-19 und Verletzungen empfinde ich in London einmal mehr tiefe Dankbarkeit. Ich habe mich noch einmal weiterentwickelt und bin mental noch stärker geworden. Diese Gewissheit, dass ich mich immer wieder selbst rausreißen kann, gibt mir unheimlich viel Kraft. Für den FC Arenal zu spielen ist etwas ganz Besonderes: Es ist eine andere Fußballwelt, es ist eine spezielle Kultur, ein eigener Stil, und ich staune immer wieder über diese einzigartig loyalen Fans. Wenn man auf den Platz geht, spürt man den Stolz, ein „Gunner“ zu sein. Man spürt die Tradition, die daraus resultierende Verantwortung und den faszinierenden Kult dieses großen Klubs. Ich bin sehr glücklich, das alles erleben zu dürfen – und ich bin sehr, sehr gerne ein Teil davon.

Tottenham Hotspur

Der Fußball ist schnelllebig – und umso wichtiger ist es mir, dass ich mir immer in die Augen schauen kann. Als ich nach dieser Winterpause bei Arsenal nach einer Langzeitverletzung wieder voll im Trainingsbetrieb war, reifte in mir der Entschluss, dass ich für die vier Monate bis zur EM im Sommer über regelmäßige Trainingseinheiten und Spiele in Schwung kommen und bleiben wollte. Ich habe mich bei Arsenal immer super wohlgefühlt, doch weil ein Angebot von Tottenham vorlag, erschien es als ideal. Von Anfang an hatte ich das Gefühl: Das ist jetzt genau das Richtige für meine Karriere und mein Knie! Und trotz der Rivalität unter den beiden Londoner Clubs konnten wir alles für beide Parteien gut lösen.
Einmal mehr habe ich gemerkt, dass es wichtig ist, immer offen zu bleiben und sich auf Neues voll einzulassen. Ich wurde von den Spielerinnen und vom Staff von Anfang an herzlich aufgenommen, konnte dadurch sofort in die Vereinskultur eintauchen und Teil des Teams sein. Es ist großartig zu sehen, wie der Verein in den Frauenfußball investiert und kürzlich eine eigene, neue Anlage für uns gebaut hat. Es ist einer von vielen Beweisen, wie sich der Frauenfußball in England entwickelt und ich empfinde es als Privileg, ein Teil davon zu sein.

Nationalmannschaft

Was wir aufgebaut haben, geht über den Sport hinaus: Mit Zusammenhalt, Leidenschaft und Emotionen kann man alles schaffen – ich finde, das ist ein schönes Zeichen an unser ganzes Land! Es ist unglaublich, wie sich alles entwickelt hat. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir anfangs fast keine Leiberl hatten, die gepasst haben – und jetzt wurden wir 2017 Dritter bei der EM in den Niederlanden.
Ich denke, es war ein Antrieb in uns Spielerinnen, allen zu beweisen, dass wir es selbst mit geringsten Mitteln schaffen können. Wir haben uns alles selber erabeitet, das flog uns sicher nicht zu. Der extreme Teamspirit ist der Schlüssel. Die EM war der bisherige Höhepunkt, ich bekomme bis heute Gänsehaut, wenn ich daran denke. Ich bin unheimlich stolz, Kapitänin dieser Mannschaft sein zu dürfen. Was wir aufgebaut haben, geht über den Sport hinaus: Mit Zusammenhalt, Leidenschaft und Emotionen kann man alles schaffen – ich finde, das ist ein schönes Zeichen an unser ganzes Land.
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