Ein offener Brief

Vor wenigen Wochen hat ein in der englischen Premier League spielender schwuler Fußballer einen offenen Brief über das Geheimhalten seiner Sexualität geschrieben, welcher im „Daily Mirror“ und in der „Sun“ veröffentlicht wurde und daraufhin große Wellen schlug. Eine Aussage darin lautete: „Die Wahrheit ist, dass ich einfach nicht glaube, dass Fußball schon bereit dafür ist, dass sich ein Spieler outet. Es bräuchte radikale Veränderungen, dass ich mich für diesen Schritt bereit fühlen würde.“ Und an dieser Stelle möchte ich mich zu Wort melden. Ich möchte meine Stimme erheben. Ich werde keine radikale Veränderung bewirken, aber ich möchte einen Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen. Um als professioneller Fußballer oder professionelle Fußballerin unvoreingenommen, befreit und entfesselt über Homosexualität sprechen zu können, erfordert sehr viel Mut und nicht zuletzt Überwindung. Wenngleich die Wunschvorstellung einer emanzipierten, entwickelten und toleranten Gesellschaft existiert, ist die Realität immer noch stark geprägt von Vorurteilen, Tabus und heteronormativen Einstellungen.  Ich habe mich Ende des letzten Jahres bewusst dazu entschieden, meine Beziehung zu meiner Freundin öffentlich zu machen. Ich habe mich bereit gefühlt und wollte endlich den kleinen Lügen ein Ende setzen. Ich wollte uneingeschränkt und befreit leben und zu 100% ich selbst sein. Ob es mir schwer gefallen ist? Natürlich. Ich stehe in der Öffentlichkeit und habe eine gewisse Fanbase. Medien und Fans werden darauf reagieren – das war klar. Allerdings nicht, in welchem Ausmaß und in welcher Form. Aber mir wurde immer mehr bewusst, dass ich eine einzige Entscheidung für mich treffen muss: Möchte ich mein Leben genau so frei und uneingeschränkt leben, wie ich es möchte oder möchte ich mein Leben so leben, damit ich es heteronormativ programmierten Menschen Recht mache? Die Antwort war klar und ich fühlte mich bereit: ich möchte mich öffentlich bekennen, dass ich lesbisch bin. Aber eines ist wichtig an dieser Stelle zu erwähnen. Viktoria Schnaderbeck mit 20 oder 25 Jahren hätte noch anders gehandelt. Mit 20 Jahren hätte ich mir selbst eingeredet, dass es nur eine Phase sei. Ich hätte gelogen und vielen Menschen aus meinem Umfeld etwas vorgespielt. Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag, als ich geweint hatte, als mich meine Mama mit der Frage konfrontierte „ob ich eine Freundin hätte?“. Ich bin in Tränen ausgebrochen, weil ich mich geschämt hatte, ich mich schuldig fühlte und schlichtweg nicht zu meiner Sexualität stehen konnte. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass meine Eltern nie ein Problem mit meiner sexuellen Orientierung hatten. Es war lediglich ich selbst, die ein Problem hatte, ein großes und tiefliegendes.  Mit 25 Jahren hätte ich mir dann schon eingeredet, dass es ausreichend ist, wenn es meine Familie und Freunde wissen, aber mein berufliches und erweitertes Umfeld davon ausgeschlossen bleiben. Heute, mit 29 Jahren, rede ich mir nichts ein, sondern weiß, dass ich auf Frauen stehe. Heute weiß ich, dass sexuelle Orientierung überhaupt nicht wichtig ist. Dass es überhaupt keine Rolle spielt, welches Geschlecht ich liebe. Viel wichtiger ist, dass ich liebe. Ich glaube auch, dass Sexualität vor allem durch die Gesellschaft Wichtigkeit bekommt.  Daher möchte ich gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Ich möchte einen Beitrag zu einer besseren, toleranteren und friedlicheren Welt leisten. Je mehr wir darüber sprechen, desto eher schaffen wir einen Rahmen, wo sich Leute nicht mehr schämen müssen. Einen Rahmen, in dem Tabus zum Thema Sexualität gebrochen und stigmatisierte Denkweisen abgelegt werden. Im 21. Jahrhundert darf es keinen Platz für Homophobie, Rassismus, Sexismus oder andere Formen der Diskriminierung geben. Unser Planet – unter anderem das Fußballstadion – soll ein Platz für Diversität, Inklusion und Fairness sein. Fußball ist Fußball. Und Liebe ist Liebe. 

22 Antworten

  1. Wunderbar geschrieben, Viki! Es ist toll, daß du so offen zu deiner Liebe stehst. Du bist ein Vorbild auf und neben dem Platz, ich wünsche dir und deiner Anna Alles Glück dieser Welt ❤️

  2. Wundervoller Text!
    Ich habe im Laufe der letzten paar Jahre gelernt, dass man nicht nur sich selber lieben muss, sondern es auch lieben muss, man selber zu sein. Dazu gehört meiner Meinung nach auch, seine persönliche Freiheit so gut es eben geht zu leben.

    Für mich war es schwierig im von Männern dominierten Feld im Krankenhaus zu sagen, dass, nein, ich gerade nicht auf einen jungen Mann warte.
    Dies hat lange nicht den öffentlichen Druck, den Sie haben gefühlt haben mussten und vermutlich immer noch empfinden, aber für mich war es ein Stück persönliche Freiheit, das ich an den Arbeitsplatz mitgenommen habe.
    Es ist nichts besonderes passiert, aber ich habe ein wenig gezeigt, dass ich dort bin und dass das auch gut so ist.

    Es ist gut, dass Sie im Fußball sind und es ist gut, dass auch andere, z. B. in der Premier League sind, die vielleicht noch nicht so weit sind.

    Vielen Dank, dass Sie in der Öffentlichkeit sagen, ich bin ich und ich bin hier.

  3. Liebe Viktoria, ich finde es wichtig dass man sein Leben lebt und offen darüber spricht. Ich selbst war mit einem wunderbaren Mann zusammen und habe gedacht, irgend etwas fehlt und bei einem Fest, habe ich eine Frau gesehen und war total geflasht von ihr. Es hat weitere zwei Jahre gedauert, da gab es den Mann schon nicht mehr in meinem Leben, bis ich ihr meine Liebe gestand aber es es war das Beste was ich je getan habe ?. Heute 30 Jahre später sind wir seit 1 Jahr verheiratet und es ist noch immer wie im September 1988, meine große Liebe ?. Egal was andere denken, sagen oder tun, es ist dein Leben, lebe es ?
    Alles liebe und vielleicht sehen wir uns mal wieder in der Frauenbundesliga wie vor einigen Jahren, als ich ein Autogramm von Dir beim SC Sand gegen die Frauen aus Bayern bekommen habe ??. Von Herzen Larissa ???‍♀️

  4. super Artikel und an dieser Stelle möchte ich auch mal Danke sagen für deinen Mut und Ehrlichkeit! Ich glaube 90% der LGBTQ people gehts gleich wie dir mit ihren struggles zur eigenen Sexualität aber ich kenne nur wenige, die so offen wie du darüber reden! wünsche dir und deiner Freundin nur das Beste & Anfang September is die CSD in Graz, vl passts ja 😉

  5. Ich weiß nur, dass die Viktoria Schnaderbeck mit noch nichtmal 20 schon ein herzensguter und absolut sympathischer Mensch war, den man einfach mögen muss. Das hat sich anscheinend auch viele Jahre später nicht geändert.
    Danke für deine Offenheit, wenn es mich auch traurig stimmt, dass etwas dass eigentlich schön und Lebensgefühlen sein soll, dir lange großen Kummer bereitet hat.
    Bleib stark und vor allem glücklich. Das ist das neben der Gesundheit das Wichtigste!

  6. Super Kommentar Viktoria. Damit machst du vielen Menschen Mut. Du hast ja auch Glück, dass du in einer großartigen Familie aufgewachsen bist, die dich in jeder Hinsicht unterstützt und gefördert hat. Ich wünsch dir weiterhin viel Glück und Erfolg.

  7. Vielen Dank für diesen Artikel und für deine Offenheit! Menschen wie du geben mir den Mut zu mir selbst zu stehen und langsam aus meinem über Jahre aufgebauten Versteck zu kommen. Ich hoffe dir ist bewusst wie vielen Menschen du durch deine Offenheit hilfst und noch helfen wirst. Danke danke danke und alles gute dir! ❤️

  8. I just read this and thank you so much for posting this. I can relate so much to your journey and it means a lot that you decided to share yours. Thank you for continuing to pave the way and show others that it doesn’t matter which gender you love.

  9. Ein ganz wichtiger Text! Wir alle brauchen Vorbilder wie Dich, wir alle brauchen Menschen wie Dich! Danke, dass Du so offen bist und auch Deine Zweifel und Ängste teilst.

  10. Respekt, liebe Viki! Die ehrliche, offene Auseinandersetzung ist der einzige Weg, um Bewusstsein zu schaffen, damit ein Umfeld entstehen soll, in dem homosexuell/lesbisch, … empfindende Menschen sich in ihrer Lebensart akzeptiert fühlen, so dass sie sich und ihre Partnerschaft entsprechend ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen entfalten können.

    1. All ihr Lieben, ich bin die Mutter einer Tochter und ich bin so stolz auf sie, das sie sich selber nicht anlügt, zu ihr steht-so unglaublich stolz-lügt euch nicht an, alles ist gut

  11. Ihnen gebührt großer Respekt, Frau Schnaderbeck! Sie schreiben zu diesem leider immer noch existierenden Problem einen wunderbaren Beitrag!

  12. Thank you, lovely letter beautifully written. Appreciate your openess and honesty – even in women’s football community which feels largely more tolerant than the men’s it is important to be a role model if you feel able. I know when I was a teenager struggling with the exact things you eloquently describe this letter would have meant so much so I hope it is able to give some comfort and hope to others.

  13. Ich finde es toll das du den Mut dazu hattest und wünsche dir bzw euch alles Gute ?? es ist das normalste auf der Welt und man darf sich nicht verstecken ❤️⚽⚽⚽ bist das größte Vorbild meiner Tochter ?⚽

    1. Ehrlichkeit währt nun mal am längsten. Sie haben meinen uneingescgränkten Respekt. Hoffentlich wird ihr Statement andere Sportlerinnen, Sportler oder jede Person die es möchte, den Mut geben so wie sie zu reagieren.

  14. Liebe Viktoria, auch ich war vor 45 Jahren als aktive Spielerin in der Situation. Leider hat sich in den vielen vergangenen Jahren in den Köpfen der Mitmenschen wenig verändert. Ich hab mich verändert und kann heute ganz offen damit umgehen.
    Würde mich gerne einmal mit dir unterhalten. Alles Gute für Euch beide.

  15. Danke, dass du das ansprichst! Es ist soso wichtig, dass vor allem im Sport darauf mehr eingegangen wird. Ich möchte am liebsten selbst auch mithelfen aufklären und Sachen beginnen zu ändern, bin aber zu unpräsent 😉 (vielleicht kann man ja daran was ändern-niemand sieht die Zukunft voraus)
    Ich hoffe es wird sich in den nächsten Jahren noch viel ändern- immer positiv auf Sachen zugehen

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